Mit dem Bergell werden die meisten steile Granitwände verbinden. Weniger bekannt ist, daß es dort auch erstklassige Wintertouren gibt. Bei den üblichen Recherchen für ein interessantes Ziel für unser obligates Winterbergsteigen bin ich dann auch darauf gestoßen. Der ursprüngliche Plan war, durch das Fornotal mit zwei Zwischenübernachtungen (Hütte und Biwak) den Monte Disgrazia zu machen, den höchsten Berg des Bergell, der ziemlich isoliert auf italienischem Gebiet steht. Dieser Plan hat sich dann aber schnell als unrealistisch herausgestellt. Es gab da eine Diskrepanz von Anspruch der Tour, den Verhältnissen und nicht zuletzt unserer Fitness. So haben wir dann auf Tagestouren von der Fornohütte (Capanna del Forno) umgestellt.
In Anbetracht eines Hüttenzustiegs von 11 km und 800 Hm sind wir (Henrik, Harald, Willi und ich) sehr zeitig von Jena losgefahren, um rechtzeitig in Maloja, dem Ausgangspunkt, zu sein. Kurz vor 15 Uhr sind wir von dort schließlich losgelaufen. Um es kurz zu machen, es entwickelte sich einer der längsten und härtesten Zustiege, die wir im Winter vom Auto aus je gemacht haben. Trotz Schneeschuhen sind wir häufig eingebrochen und mußten und teilweise sogar gegenseitig mit der Lawinenschaufel ausgraben. So waren wir auch erst entsprechend spät auf der Hütte. Der Hüttenwirt Fritz war so freundlich, mit dem Abendessen zu warten. Untergekommen sind wir dann im sehr schönen und geräumigen Winterraum, was den Vorzug hatte, daß wir vom übrigen Hüttentrubel abgeschottet waren.
Am nächsten Tag wollten wir dann auf den Monte Sissone (3330m). In Anbetracht der zu erwartenden Erwärmung, die Null-Grad-Grenze sollte im Laufe des Tages über 3000 Meter gehen, sind wir sehr früh aufgebrochen. Zuerst ging es abwärts auf den Gletscher, dann den relativ ebenen Fornogletscher bis unter die Mauer der Torrone und dann einen steilen Gletscherarm nach Osten auf den Passo Sissone. Von dort ging es einen leichten Grat auf den Gipfel des Sissone. Man hätte vom Passo Sissone auch relativ leicht die Cima die Rosso besteigen können, wir haben aber darauf verzichtet. Den gleichen Weg ging es zurück. Dabei waren die 200 Höhenmeter vom Gletscher zur Hütte das härteste Stück der Tour.
Am nächsten Tag wollten wir auf die Cima die Castello, mit 3388m der höchste Gipfel des Schweizer Bergell. Wieder ging es den flachen Gletscher bis zum Ende. Diesmal aber hielten wir uns westlich, um in den Passo di Cantun zu gelangen. Das war ein anstrengender, aber interessanter Gletscheranstieg. Vom Paß hätten wir absteigen müssen, um in einem weiten Bogen die Nordwestflanke der Cima di Castello zu gewinnen. Das erschien uns zu umständlich. Deswegen wurde beschlossen, über den Südgrat auf die Cima dal Cantun zu steigen. Das haben wir auch getan. Allerdings hat sich hinterher herausgestellt, daß nur ein Vorgipfel erreicht wurde, von dem es noch etwa 250 Meter horizontalen Grat bis zum eigentlichen Gipfel ging. Das war von dort nicht einzusehen. Dieser Tag war noch wärmer, so daß der Hatsch auf dem ebenen Gletscher und dann der Gegenanstieg zur Hütte echt herausfordernd waren.
Wir haben dann beratschlagt, ob wir in Anbtracht der Verhältnisse noch eine Nacht bleiben, und uns dagegen entschieden. Zwei von uns haben sich ausgeschlafen und sind sind dann Richtung Parkplatz abgestiegen. Wir anderen haben uns noch den Monte Forno (3214m) vorgenommen und sind deswegen wieder zeitig aufgestanden. Das war eine sehr abwechslungsreiche Tour, bei der es einen Felsgürtel und sehr steilen Firn zu überwinden gab. Die Rundumsicht vom Gipfel war gigantisch. Besonders beeindruckend waren die Granitriesen der Bondasca-Gruppe. Auch der Abstieg war dann noch mal interessant. Gegen 11 Uhr waren wir wieder an der Hütte, haben unser Zeug gepackt und sind den beiden anderen hinterher gen Parkplatz gestiegen.
Das war dann noch mal richtig spannend. Durch die hohen Temperaturen und die Sonneneinstrahlung hat es die umliegenden Hänge durch mächtige Gleitschneelawinen abgeräumt, von denen etliche auch den Weg erreicht haben. Eine war so gewaltig, daß sie das Tal bis zur anderen Seite verschüttet hat. Aber es ist alles gut gegangen.
Sehr schön, da wird man ja vor Neid ganz blaß…